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Hamersche Herde in Wiesbaden – die Germanische Neue Medizin on tour

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Pilhar

Ein Gastbeitrag von Sigrid Herrmann-Marschall:

Antisemitismus aktuell – ein Besuch bei einer Vortragsveranstaltung Helmut Pilhars am 08.11.2013

Helmut Pilhar, die Nummer 2 der „Germanischen Neuen Medizin“ (GNM) oder neuerdings schlicht „Germanische Heilkunde“ genannt, tourt seit vielen Jahren als Handlungsreisender. Ziel dieser Reisen durch ganz Deutschland, die Schweiz und Österreich ist nicht nur der Absatz der Bücher von Ryke Geerd Hamer, sondern auch durch die Einnahmen aus den Veranstaltungen der Broterwerb. Pilhar hat eine österreichische Gewerbezulassung, die sich auf den Vertrieb von Büchern und Medien bezieht. Die Zulassung ist also sehr tieffliegend für die medizinische Hochstapelei, die in Vorträgen und Seminaren angeboten wird. Profitabel sind dabei neben den Einführungsveranstaltungen, die aktuell 10 Euro Eintritt kosten, die nachfolgenden Tagesseminare, die pro Teilnehmer 60 Euro einbringen. Der Hinweis auf die Veranstaltung wurde über seinen Newsletter verbreitet. Im Vorfeld hatte es einen Bericht des Wiesbadener Kuriers gegeben, in dem die Geschichte der „Germanischen Neuen Medizin“ dargestellt wurde und vor den Folgen gewarnt. In Reaktion auf diesen Bericht hatte Pilhar einen aktuellen Newsletter versandt, in dem er aus seiner Haltung gegen die „jüdische Schulmedizin“ keinen Hehl macht.

Am 08.11.2013 finden etwa 50 Teilnehmer den Weg in eine Halle in Wiesbaden-Biebrich. Pilhar, leger gekleidet, steht am Eingang und begrüßt den einen oder anderen Zuhörer persönlich. Sein großer Rottweiler ist an einer Säule angeleint. Das Publikum ist überwiegend älter, überwiegend weiblich, aber auch etliche jüngere Frauen, für die das Impfen der Kinder noch aktuelles Thema sein könnte. Vorne hat Pilhar seine Vortrags-Ausrüstung aufgebaut, ein lebensgroßes Gehirn aus Plastik ruht neben Beamer und Rechner.

Mit Verspätung beginnt er seinen Vortrag und redet sich umgehend in Fahrt. Er schildert den Fall seiner Tochter und wie ihn die Medien nach seiner Wahrnehmung in die Enge trieben.
Pilhar wirft ein Bild nach dem anderen an die Wand, oft mit viel Text, so dass die Zuhörer neben dem, was er sagt, kaum lesen können, was da steht. Er ist mittlerweile sehr geübt darin, diese Inhalte zu verbreiten. Zwischenfragen sind nicht gestattet. Das Publikum murrt nicht, wenn ihm bizarre Dinge wie ein angeblich krankmachender „Brocken-Konflikt“ und seine Folgen am farbigen Beispiel des kleinen Sohnes, der um seinen Schokoladen-Osterhasen bangt, vorgesetzt werden. Kein Protest auch, wenn von „linkshufigen Hirschen“ geredet wird oder wenn Anzüglichkeiten über das generelle Verhalten von Männern und Frauen vorgebracht werden (von denen es an diesem Abend reichlich gibt – immer angeblich „biologisch“ begründet).

Pilhar, das wird deutlich, glaubt tatsächlich daran und lebt den Zuhörern vor, wie sie auf diese Weise Krankheiten „diagnostizieren“ können und schon im Entstehen gegenwirken. Er betont, dass es „bei 40.000 Fällen“ keine Widerlegung gäbe und ausnahmslos jede Erkrankung jenseits von Unfällen und Vergiftungen so zu erkennen und zu behandeln sei. Krebs wie Schnupfen, alles eins: Psychisch bedingt und daher psychisch anzugehen. Der Krankheitsprozess wird in Heilungsphase umgetauft. In der Welt Pilhars gibt es keine Onkogene, keine krankmachenden Erreger, keine Stoffwechselerkrankungen.

Dafür gibt es das „Megaverbrechen Chemotherapie“, vergiftende Impfungen, „Todeschips“.

Bilder von CT-Aufnahmen werden gezeigt und erläutert. Artefakte werden zu „Hamerschen Herden“ umgedeutet, Erkrankungen direkt aus diesen Artefakten gelesen. Von direkt nachvollziehbaren Fallbeispielen ist die Rede, von Naturgesetzen und Wissenschaftlichkeit. Der Vortrag Pilhars ist gespickt mit sehr vielen medizinischen Fachausdrücken, echten und frei von Hamer erfundenen. Locker gehen Begriffe wie Plattenepithelkarzinom, aber auch Gehirn-Relais oder Althirn-Konflikt über die Lippen. Meist falsch verwendet, meist in einen ganz anderen als den korrekten Zusammenhang gestellt. Er versucht, seinen Vortrag wie einen ernsthaften medizinischen Vortrag zu verkaufen, hantiert mit dem Gehirnmodell. Er bezeichnet sich selbst als „neuen Mediziner“. Beim medizinisch weitgehend ungebildeten Publikum verfehlt das nicht seine Wirkung. Manche Zuhörerinnen sind denn auch sehr beeindruckt, tuscheln nebenan von „so viel medizinischem Wissen an einem Abend“.

Pilhar macht Pausen, um seinen Hund auszuführen. Bei einzelnen kurzen Dialogen mit Anwesenden wird deutlich, dass etliche zur treuen Anhängerschar zählen und schon Seminare bei ihm gebucht haben. Andere sind neu und wollen sich informieren.

Nach dem Vortragsende ermöglicht Pilhar eine Fragerunde. Es werden konkrete Therapieanfragen gestellt, wie z.B. dem zugrunde liegenden Konflikt bei einer Blasenentzündung. Pilhar sieht darin einen Partnerkonflikt. Auf die Frage, wie es denn komme, dass die „Germanische Neue Medizin“ nicht anerkannt sei, wenn sie denn so heilsam und richtig sei, geht ein Stöhnen durch das Publikum. Mehrheitlich wird mit den Augen gerollt „wie man denn so naiv sein könne“. Pilhar holt etwas aus und erläutert die große Verschwörung gegen Hamer, dass „man“ nicht wolle, dass die GNM allen zuteil werde. Ein Mann im Publikum, er outet sich als Arzt, ergänzt, es sei nicht ohne Gefahr für die Approbation möglich, sich zu den Grundprinzipien der GNM zu bekennen. Nachfragen, wer er sei und wo er praktiziere, bleiben ohne Erfolg. Er geht dann bald nebst Gattin.
Bei einer Nachfrage, was denn das „Germanische“ an der „Neuen Medizin“ sei, wird es vollends bizarr: Pilhar zeigt u.a. Bilder von Felsformationen und versucht darzulegen, dass die erkannten Grundprinzipien nach Hamer schon von alters her angewendet worden seien. Dass die „Germanische Neue Medizin“ im Grunde die älteste bekannte Heilweise sei, viel früher bekannt und umgesetzt bei den germanischen Vorfahren.

Gefragt, wie es sich denn mit der Verantwortung für die „Therapie“ verhielte, hält sich Pilhar bedeckt. Er sieht sich nicht in der Verantwortung, er informiere nur und schließlich müsse jeder sich selbst heilen. Die Frage, was denn sei, wenn man „seinen“ Konflikt für eine ernsthafte Erkrankung nicht findet, bleibt unbeantwortet im Raum.

Dann ist wohl jeder selbst schuld.

 

Anmerkung: Pilhar erkannte mich dann doch und debattierte gereizt mit mir, befürchtete einen Artikel bei „Esowatch“, den ich hiermit gerne einreiche. Ich war schon Jahre zuvor in einer Veranstaltung von ihm gewesen und hatte als einzige von damals etwa 80 Zuhörern gegengehalten. Im Nachgang war ich dann von Anhängern bedroht worden. Gegen meinen Willen und trotz meiner ausdrücklichen Warnung, dies sei ohne meine Einwilligung nicht gestattet, ließ er am 08.11. von einem Anhänger ein Foto von mir machen und kam mir dafür näher (wir standen bei der Schluss-Debatte zunächst so 2 m entfernt). Als ein großgewachsener Anhänger einer Fragenden nacheilte, ging ich hinterher, um zu beobachten und ggf. helfen zu können. Durch die Glastür sah ich aber noch, dass sich Pilhar anscheinend weiter über mich aufregte. Das Ganze blieb jenseits des Bildes jedoch rein verbal gereizt bis aggressiv.

Das hessische Magazin „defacto“ berichtete kurz anlässlich dieser Veranstaltung:

„Todesfalle Germanische neue Medizin – Wo sich Judenhass mit Scharlatanerie mischt“

 


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